Moskwa reka
In meinen tiefsten Träumen
komme ich jedes mal
aus dem weißrussischen Bahnhof
Ich sehe zwei Frauen
die heben sich ab von der Menschenszene
aber jedes Wort
verstummt an ihren Lippen
an ihrer Haut weiß wie Kreide
mit dem bisschen Rouge auf den Wangen
Sandwich und Sloika auf dem Weg
in den Untergrund
so bunt, wie es hier ist
durch die Lichtstöße
die von den Fassadenelementen
an Säulen entlang
herunterprasseln
und auf der Höhe des Gehsteigs verlöschen
Die beiden als karillischer Blick
und blaues Lächeln begleiten mich
dazwischen Benzingeruchpolster
Ladenzeilen, meterhohe Durstreklame
wenn sie was erleben wollen dann hier
also durchs Gebüsch
im Frieden für den Supermarkt
der sich nicht zeigt
sobald die Straßenkreuzung
im Erhellen einiger Gestalten naht
Njet. Is Germanii.
fast in Erstarrung, vielleicht das Blut
der Flaschenhals, zehnmal
Ja Mischa
und Tanja und Jekatarina
Okay, von Heirat war hier keine Rede
bin ich nicht
nein, achso, sie wird nicht
gut, ich auch nicht
Ja Mischa
das weiß ich
nur Unverständliches
er wippt nach hinten
dort sind die andern
sie gehen vorbei ohne stehen zu bleiben
ich sage Paka, Patschemu
etwas Unverständliches
er zieht mich am Arm
Ja nje magu, Patschemu
er zieht mich am Arm
bleib stehen, njet, njet,
Ich meine nicht, dass ich abhängig wäre von meinem Handy
Von der feuchten Schwüle gepackt
wieder rein, wieder raus
Jacke an, Jacke aus und Tür zu
Astaroschna, zurücktreten
Invaliden, Menschenmassen, Passagiere mit Kindern
unübertroffen, hinangewinkelt
im Dröhnen der Transportvisionen
Aber dann hatte sie mich auch gepackt
die Angst in meiner ganzen Verachtung
mit dem fälligen Aufstieg
mit der Oberfläche
über den gestundeten Leuchtspuren
Der Tag rechnete sich wieder
Im Vorrübergleiten einzelner
Expliziter Erstbesteigungen
Ausgefranste Emaillereste
Kaltwasser
Der Antrieb etwas sehen zu wollen
Häkchen für die Guided Tour
führerlos durch die Straßen der Altstadt
durch das Disneyland der russischen Zone
verspielt, verkremlt, verzwiebelt
hinter der Art Noveau
den Monumenten und Stalinfassaden
Aufstrich zur Glanzansage
importiert wird was es gibt
auf dem Platz vor dem Wladimir
dreht ein Soldat seine Runden
mumifiziert, fast ägyptisch
nur mit gläsernem Einblick
etwas weiter in den Katakomben
ein Abriss des Lebens der Romanoffs
die Mädchen und Frauen stehen in Tränen
vor dem Bildnis Maria, küssen
kürzer die goldgefassten Heiligen
berühren, begleiten in Gebeten
ich sehe eine Frau
ich sehe einen Fleck an ihrem Hals
eine Warze, die sich nebensächlich
in das Halstuch schmiegt
eine Träne über streichholztiefen Falten
über ihren Nasenflügeln
im Lichtschein
Ich sehe die Leute mit Geigenkasten
und denke, was ist eine Geige
ein Gedanke Rachmaninoff
wenn manche mir sagen
Hitler war ein verrücktes Genie
Moskau ist eine unwirkliche Stadt
Die Ratten, das Zinobergestöber
Die Flammen wie Blut am Ende vom Tag
Doch erst ist es Mittag, Pelmenihappen
vorm karillischen Auge
sie isst kein Fleisch
und trinkt zuviel laues, süffiges Bier
wir fassen uns nicht an
wenn wir vor dieser Wand stehen
und nicht ran kommen an das um-zu
das geschnürte Päckchen in der Vergangenheit
im Rand des Auges sitzt ein Apfelkern
da wird eher gekreischt
wie ein pubertierendes Mädchen
egal, hier ist es anders
die Grenze unserer Fantasie
das Auge, karillisch, heißt zwischen den Welten
überbordend gefüllt mit einem Code
einer Vorstellung, einer Bitte
auf dem Weg Richtung Westen
der sich als blaues Lächeln immer eifersüchtiger gibt
in der Drehung mit langem, wallendem Haar
steht neben uns und verklebt den Mund
mit karierten Sätzen
Der lange Ton von wirtschaftlicher Verständigung
also los, Ticket kaufen
sie oder sie oder er oder wir
das Räuspern vor den ersten Lauten
durch den Einlass in das gepanzerte Glas
keine Miene
da, buistro, schneller
der nächste, die Sperre
die Frau im Kontrollhaus am Ende der Treppe
der Bahnsteig voller Gesichter
unterwegs in den Park, in die Stadt
in den Einkaufspalast an der Metro
unterwegs, so wie wir zu den Raubkopien
der Geruch schwüler Eigenfeuchte überall im Wagen
das Frivole unserer Gesten
das Lachen in starrenden Blicken
wenn wir die Arme vor uns zum Sprechen bringen
wir tragen auf
und verteilen unser Hiersein wie einen Bratengeruch
im Abteil
Ein- und Aussteigende, Wir-mitausteigende, doch draußen
ist kein schlechter Handel mit den Sinnesorganen
Budentreiben, Kleinbusse, Dahlien
grüne Pullover, Babuschki mit runden Bäuchen
alle kommunistischen Bespannungen
sind nur Objekte in der Vermarktung
kein ideologischer Verdacht
die bunten Flächen
das Sozialreale als velourgebauschter Himmel
über der Erzählung
und der Wunsch
dass Menschen anders zueinander denken
bleibt hinter Telekomreklame
Dingen überlassen, die leben